Die Wiener Konkurrenten

Der wohl erfolgreichste und auch heute noch bekannteste Konkurrent Thonets ist der Hersteller Jacob und Josef Kohn, der Ende der 1860er auf den Plan trat und ebenfalls Möbel aus massiv gebogenem Holz fertigte, nachdem er das Privileg zum Biegen von massivem Holz erfolgreich angefochten hatte bzw. Thonet dieses freiwillig aufgab.[1]

Weniger bekannt sind jene Konkurrenten, die sich in den Wiener Anfangsjahren Thonets daran versuchten sich ebenfalls am Markt für Bugholzmöbel zu etablieren. So boten die Tischler Johann Kukol und Johann Weiss ab 1859 bzw. 1868 ebenfalls Möbel aus gebogenem Holz an.[2] Darüber hinaus dürfte es noch zahlreiche andere kleine Gewerbetreibende gegeben haben, die zumindest optisch ähnliche Möbel anboten, von denen wir aber mangels schriftlicher Nachweise, wie bspw. Inseraten, wohl nie Näheres erfahren werden.

Der einzige Wiener Konkurrent über den zumindest einige Informationen verfügbar sind, ist Josef Neyger, der sein Unternehmen 1847 gründete.  Neyger ging bereits 1855 gegen Thonet wegen „Gewerbestörererei“ vor. Nachdem dieses Unterfangen nicht  von Erfolg gekrönt war, versuchte er 1856 erfolglos die Annulierung des Privilegs von Thonet zu erreichen. Thonet lies sich diese Provokation freilich nicht gefallen und erreichte vor Gericht die Beschlagnahme der Möbel aus Neygers Tischlerei, da dieser das Herstellungsverfahren von Thonet einfach kopierte hatte.[3]

Da das Privileg von Thonet Bestand hatte, waren Neyger und die anderen Wiener Konkurrenten dazu gezwungen ihre Möbel in dem bereits veralteten Verfahren des Schichtverleimens herzustellen. Interessant ist, dass Neyger trotz dieses Wettbewerbsnachteils, der sicherlich auch mit höheren Fertigungskosten verbunden war,  damit warb „unter Garantie zu den billigsten Fabrikspreisen“ zu verkaufen.

Fremden-Blatt, 25. August 1860

In seinen Anfangsjahren firmierte Neyger noch als einfacher Tischlermeister, wie in der nachstehenden Annonce zu sehen ist, mit der  Neyger im Jahr 1853 nach einem Maurermeister-Gewerbe sucht, welches er auslösen wollte.


Wiener Zeitung, 24. Juli 1853

Neyger, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits als „Fabrik von Möbeln aus gebogenem Holz“ bezeichnet, wirbt Anfang bis Mitte der 1860er Jahre mit einer Reihe von Annoncen für seine Produkte. Man kann an diesen deutlich erkennen, dass er nicht nur von Thonet kopierte, sondern auch eigenständige Entwürfe herstellte.

Die Jahre 1868 und 1869 sollten keine Guten für das Unternehmen sein. Am 3. April 1868 stirbt Josef Neyger. Seine Witwe, Maria Neyger, führt das Unternehmen weiter. Am 3. März 1869 kommt es zu einem verheerenden Brand bei Neyger, verursacht durch ein beim Leimsieden aus dem Ofen herausgefallenes Stück Holz. Laut Zeitungsberichten fielen dem Feuer hunderte Sessel zum Opfer. Der finanzielle Schaden an dem Lager soll sich auf 30.000 Gulden belaufen haben. Beim Brand kam außerdem der Werksleiter ums Leben, welcher versucht hatte das Inventar zu retten. Interessant ist auch der Hinweis in den zeitgenössischen Zeitungsberichten, wonach die vernichteten Möbel für den Export nach Afrika bestimmt waren. Neyger war also offensichtlich auch weit über die Grenzen der k. u. k. Monarchie mit seinen Möbeln erfolgreich.[4]

Trotz dieser Rückschläge fertigte Neyger weiterhin schichtverleimte Möbel an. Dies sogar noch lange nachdem das thonetsche Privileg gefallen war. Einen entsprechenden Beleg dafür, dass Neyger nicht auf das Biegen von massivem Holz umstieg, finden wir  im amtlichen Bericht über die Wiener Weltausstellung 1873, an der Neyger teilnahm und bei der er  eine Auszeichnung erhielt.[5] Dort ist folgendes zu lesen: „auch jene ältere Methode der Herstellung gebogener Möbelbestandtheile aus dünnen, fournierartigen Blättern, welche durch Kochen in aufeglöstem Tischlerleim schmeidig gemacht und mehrfach auf einandergelegt durchaus dauerhaft krumm gepresst werden, wird noch geübt und kann merkwürdigerweise die Concurrenz der oben erwähnten speditiveren Methode vertragen. Sie war gut vertreten durch Josef Neyger.“

Auch wenn Neyger ein gewisser kommerzieller Erfolg zu Teil wurde, schlitterte das Unternehmen schlussendlich 1878 in den Konkurs[6], welcher 1881 abgeschlossen wurde.[7] 

Konstruktionsweise

Typisch für die Konstruktionsweise der Möbel von Neyger und der anderen Wiener Konkurrenten ist der getischlerte Sitzrahmen, der aus mehreren massiven Teilen gefertigt ist. Weitere Merkmale sind die massiven, nicht aus Bugholz gefertigten, Beine sowie die teilmassive Rückenlehne. Lediglich der obere Teil der Rückenlehne und der Sitzreifen (sofern vorhanden) sind aus gebogenem und schichtverleimten Holz gefertigt. Eine schematische Darstellung der Konstruktionsweise mit weiteren Details sowie zahlreiche Abbildungen finden sich auf der großartigen Website von Herrn Staedeli.

Obwohl zahlreiche Inserate aus der Zeit erhalten sind, ist bisher kein Katalog von Neyger bekannt, auch wenn solche zumindest existiert haben müssen.

Illustrierte Novellen Zeitung, 9. Juni 1859

Auch kennzeichnete Neyger seine Möbel nicht systematisch, wie dies bei Thonet der Fall war. Zwei baugleiche Stühle aus meiner Sammlung verfügen über Schlagzahlen und eine seltsame Kennzeichnung, die einem Apfel zu gleichen scheint. Darüber hinaus ist einer mit einem „L“ markiert. Es handelt sich hier aber wohl bloß um Montagehilfen.

Insgesamt ist es somit schwer einen Sessel zuverlässig Neyger zuzuordnen. Selbst auf die Zeitungsannoncen ist kein Verlass, wie sich an einer Gegenüberstellung zeigt.

Inserat von Neyger im Fremden-Blatt, 8. Juni 1862
Inserat von Kukol im Fremden-Blatt, 2. September 1862

In der Sammlung des MAK ist das Modell Kukol zugeschrieben. Wie man an den Annoncen sehen kann, wurde aber das baugleiche Modell auch von Neyger angeboten. Ich selbst besitze dieses zweimal, wobei beide Sessel etwas unterschiedlich ausgeführt sind.  Sie unterscheiden sich im Holzquerschnitt, in der Höhe der Rückenlehne und im Gewicht voneinander. Es lässt sich freilich nur darüber spekulieren, ob beide von unterschiedlichen Herstellern stammen, oder bloß Schwankungen in der Produktion vorliegen.

Passend zu den Sesseln wurden natürlich auch Fauteuils in unterschiedlichsten Varianten hergestellt.

Dieser ebenfalls mit den typischen Details gefertigte Sessel ist insofern interessant, als seine Hinterbeine mit einer Schlossschraube an dem Sitzrahmen befestigt wurden. Bei allen anderen hier gezeigten Modellen, erfolgte dies mit zwei großen Holzschrauben. Diese Art der Befestigung ist auch an den frühen, von Thonet um 1865 gefertigten, Sesseln zu finden. Da die Wiener Konkurrenten fleißig von Thonet kopierten, verwundert diese Variation nicht. Deutlich ist an dem Sessel auch zu erkennen, wie stark Gips zum Einsatz kam, um den Übergang von massivem Bein auf schichtverleimte Lehne zu kaschieren. Insgesamt wurden bei dem Sessel einige Fehler mit Gips abgedeckt. Diese eher einfache Fertigungstechnik legt die Vermutung nahe, das es sich bei dem Hersteller eher um einen kleinen Tischler handelte, der nur sehr geringe Stückzahlen produzierte.

Ich darf auch zwei interessante Hocker mein Eigen nennen, deren Sitzrahmen wie bei Neyger aufgebaut ist. Die Beine sind allerdings nicht, wie sonst bei Neyger üblich, geschweift. Beide dürften ursprünglich für das Aufpolstern konstruiert worden sein. Vermutlich wurden sie von einem anderen Konkurrenten hergestellt, dessen Namen wir nie erfahren werden.

Ähnlich aufgebaut ist auch dieser Drehhocker, bei dem sowohl dem sowohl der Sitzring als auch dessen „Auflage“ in der typischen Art gefertigt sind.


[1] Jiri Uhlir „Vom Wiener Stuhl zum Architektenmöbel“, 15ff

[2] Helmut W. Lang „Biegen oder Brechen“, in Das Wilde Biedermeier, Parnass Sonderheft 4, S. 61.

[3] Helmut W. Lang „Biegen oder Brechen“, in Das Wilde Biedermeier, Parnass Sonderheft 4, S. 61.

[4] Gemeindezeitung 6. März 1869; Neues Wiener Tagblatt 5. März 1869.

[5] Deutsche Zeitung, 1. Oktober 1873.

[6] Die Presse 12. Februar 1878.

[7] Wiener Allgemeine Zeitung 5. Juli 1881.

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